Christliche Kunst in Bulgarien 

Assen Tschilingirov

 

II. Erstes Bulgarenreich 25 (681-1018)

   - Architektur  29

   - Dekorative Keramik  35

   - Mosaik  35

   - Malerei  36

   - Plastik und Toreutik  38

   - Rezeption der Antike  39

   - Buchmalerei  41

 

Zeichnungen:

 

o  Die Balkanhalbinsel im Mittelalter  26

o  Pliska, Erzbischofsbasilika, letztes Drittel des 9. Jh.  29

o  Ochrid, Sophienkirche, 9.-14 Jh. Grundriß, Westfassade und Längsschnitt  30

o  Nessebar, Kirche Johannes’ des Täufers, spätes 9. Jh.  31

o  Kastoria, Stephanoskirche, 10. Jh.  31

o  Preslav, Erzbischofskathedrale, spätes 9. Jh.  32

o  Pliska, Bojarenkirche, 10. Jh.  32

o  Viniza, Kreuzkuppelkirche, 10. Jh.  32

o  Preslav, Runde Kirche, kurz vor 907. Rekonstruktion  33

o  Pliska, Kirche Nr. 28, 10. Jh.  33

o  Ochrid, Panteleimonoskirche, 10. Jh.  33

o  Preslav, Kloster Patlejna, Klosterkirche, 10. Jh. Axonometrie (Rekonstruktion)  34

o  Preslav, Runde Kirche, kurz vor 907. Ornamente, glasierte Keramik  34

o  Preslav, Runde Kirche, kurz vor 907. Ornament, glasierte Keramik  35

o  Preslav, Kloster Avradak, Kirche Nr. 1, 10. Jh. Bodenmosaik  36

o  Sbornik des Großfürsten Swjatoslaw von 1073, Kiew, Historisches Museum Moskau, Stifterbildnis des Zaren Simeon  37

o  Preslav, Runde Kirche, kurz vor 907. Gesimsprofile  40

o  Sinaitisches Euchologion, 11. Jh. Initial  41

o  Ostromir-Evangeliar, Kiew, 1056/57. Öffentliche Bibliothek Leningrad. Initialen  42

 

 

II. Erstes Bulgarenreich (681-1018)

 

Die Entstehung der Kultur des frühen Mittelalters stellt einen der bemerkenswertesten Vorgänge der Kulturgeschichte dar. Auf den Trümmern der römischen Weltzivilisation wurde - wie der legendäre Phönix aus der Asche - eine neue Kultur geboren, die alle Bindungen zur alten Welt preisgegeben zu haben schien. Das antike Schönheitsideal wich einem neuen Ideal geistiger Vollkommenheit, das dem Ausdruck inneren Lebens eine Priorität vor äußerlicher Vollendung gab. Wenn auch das frühe Christentum vom künstlerischen Erbe der Antike zehrte und seine Vorbilder dem überlieferten Formenschatz entlehnte, so war dieser Boden doch längst erschöpft. Um der neuen Kultur als leben- und kraftspendende Quelle dienen und neue Ernte geben zu können, mußte er während der blutigen Auseinandersetzungen in der Zeit der Völkerwanderung tief umgepflügt und mit frischer Kraft befruchtet werden. Diese Kraft brachten die in den weiten europäischen Gebieten des Imperium Romanum neu angesiedelten Völker mit, deren schöpferischer Geist eine fast unbegrenzte Vitalität freisetzte.

 

In den westlichen Provinzen des ehemaligen Weltreichs vollzog sich der Prozeß politischer, ethnischer und kultureller Umbildung etwas früher - das Jahr 476 bezeichnet das Ende des nur noch der Form nach bestehenden weströmischen Kaiserreichs und den Beginn einer neuen Epoche, der des Mittelalters. Zwei Jahrhunderte später, im Jahre 681, wurde anstelle der östlichen Provinzen des Römischen Imperiums das sich vom Balkangebirge bis in die Karpaten erstreckende Bulgarenreich gegründet, demgegenüber das von der Expansion des Arabischen Kalifats bedrohte Konstantinopel als letzter Hort antiken Geistes übrigblieb. Dadurch schloß sich der Umfassungsring, den die eurasischen Völker dicht um die ehemaligen Zentren antiker und hellenistischer Kultur bildeten.

 

Innerhalb der folgenden drei Jahrhunderte kam dieser neuentstandenen Großmacht in der politischen und kulturellen Entfaltung Südosteuropas eine ähnliche Bedeutung zu wie dem Reich Karls des Großen und seiner Nachfolger für Westeuropa. Wie das Reich der Franken 'das Fundament zur Einigung eines bunten Konglomerats unterschiedlicher Völkerstämme in einem Staat schuf und sie durch die neue Staatsreligion fest an sich zu binden vermochte, so vereinigte auch das Bulgarenreich die in ihrer ethnischen Zusammensetzung uneinheitliche Balkanbevölkerung - die aus Mittelasien kommenden Protobulgaren, die ein Jahrhundert zuvor von den osteuropäischen Randgebieten umgesiedelten Slawen, die zum Teil romanisierten und zum Teil hellenisierten Einwohner der großen Balkanstädte sowie die nach den zahlreichen Kriegen und Einfällen mehrerer Nomadenvölker vermischte und stark reduzierte Urbevölkerung. Durch die Verschmelzung dieser Völkerschaften entstand zugleich mit der inneren und äußeren Festigung des neuen Reichs bis zum 9. Jahrhundert eine neue ethnische Einheit, deren Herausbildung durch die Einführung des Christentums als Staatsreligion im Jahre 865 zu einem gewissen Abschluß gelangte, wobei neben der einigenden Staatsmacht und Religion die neugeschaffene slawisch-bulgarische Schrift als Grundlage der nationalen Literatur, Kultur und Kunst eine wichtige Bindekraft besaß.

 

Während der Hellenismus und die Römerzeit eine Annäherung der Kulturen Europas und des Vorderen Orients bewirkten, führte die Völkerwanderung eine Berührung der Kulturen Mittelasiens und der Ural-Randgebiete mit der europäischen Kultur herbei. Ebenso wie an der Entstehung der mittel- und westeuropäischen Kunst die tief auf italischem und gallischem Gebiet verwurzelten Eigenarten der Kunst der Kelten, Goten und Langobarden beteiligt waren und in der karolingischen, vorromanischen und romanischen Kunst nachwirkten, verbanden sich in Südosteuropa unterschiedliche und ursprünglich weit voneinander entfernte Kunsttraditionen, denen das antike Erbe sowohl innerhalb des slawischen als auch des mittelasiatischen Elements eine eigene Prägung verlieh.

 

Die Slawen führten in Südosteuropa die monumentale Holzarchitektur ein, die - von der antiken und der daneben existierenden protobulgarischen Kunst beeinflußt -, verglichen mit der frühmittelalterlichen nordost- und mitteleuropäischen Holzarchitektur, einen grundsätzlich anderen Entwicklungsverlauf nahm. Die ebenso von den Slawen eingeführte Holzschnitzerei fand auf dem Balkan eine noch weitere Verbreitung, und durch die Eigenarten der protobulgarischen Plastik mitgeprägt, blieb bis in unsere Zeit auf diesem Gebiet eine traditionelle, überaus charakteristische Kunstgattung.

 

Trotz intensiver Forschung während der letzten Jahrzehnte sind unsere Kenntnisse über die Protobulgaren immer noch unzureichend. Die Urheimat dieses in den Steppen Mittelasiens seßhaften europiden Volkes, das dem großen hunnischen Stammesverband angehörte, dehnte sich westwärts bis zum Kaspischen und Asowschen Meer im Norden des Kaukasus aus;

 

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Die Balkanhalbinsel im Mittelalter

 

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die Niederlassung einiger protobulgarischer Stämme in unmittelbarer Nähe Armeniens schon im 2. Jahrhundert v. Chr. wird von armenischen Chroniken belegt. Von hier unternahmen J die Protobulgaren, laut byzantinischen Chroniken, gemeinsam mit anderen Völkern ihres Stammesverbandes während des zweiten Drittels des ersten Jahrtausends zahlreiche Angriffe gegen das Ost- und Weströmische Reich und wurden somit bereits zu diesem Zeitpunkt mit der spätantiken Kultur konfrontiert. Über ihre eigene ä damalige Kultur ist uns wenig bekannt. Wir wissen jedoch, daß sie demselben Kulturkreis wie die Hunnen - Xiong-no in den chinesischen Chroniken - angehörten, über den wir durch zahlreiche Quellenberichte chinesischer, iranischer, armenischer und arabischer Geschichtsschreiber unterrichtet sind. Daraus ist zu entnehmen, daß die Hunnen große Städte und eigenes Schrifttum besaßen; während eines beträchtlichen Zeitraums sind auch hunnische Einflüsse auf die chinesische Kultur feststellbar. Einen Beweis für das hohe Niveau der Astronomie und Mathematik liefert der bulgarische Kalender, der bis zum 10. Jahrhundert benutzt wurde und als eine der vollkommensten Schöpfungen der Mathematik des Altertums angesehen wird.

 

Seit langem ist die Behauptung widerlegt worden, die slawischen Stämme seien, wegen ihrer geographischen Nähe zu Byzanz, Träger einer höheren Kultur als die Protobulgaren gewesen. Vielmehr hatte die Stammesaristokratie Großbulgariens - wie die byzantinischen und armenischen Quellen den Verband protobulgarischer Völkerstämme in Asien in der Mitte des ersten Jahrtausends nannten - schon in ihrer Urheimat Gelegenheit, die antike Kultur Vorderasiens wie auch der nördlichen Schwarzmeerküste und Byzanz’ unmittelbar aufzunehmen. Somit befand sie sich in einer ähnlichen Lage wie die herrschende Schicht des Arabischen Kalifats zur Zeit der Omayaden und Abasiden, die der antiken Kultur entsprechende Formen entlehnte, um ihren Herrschaftsanspruch im Land alter Traditionen zu unterstreichen. Die Wechselbeziehungen der Kultur des achämenidischen und sasanidischen Irans sowie Mesopotamiens mit Zentralasien sind ebenso seit langem bekannt. Andererseits sind die Kontakte der protobulgarischen Stammesaristokratie mit Byzanz Gegenstand zahlreicher Berichte byzantinischer Chronisten. Aus ihnen erfahren wir, daß der spätere Herrscher Großbulgariens, Khan Kubrat, zu Beginn des 7. Jahrhunderts in Konstantinopel seine Ausbildung erhalten und den christlichen Glauben angenommen hatte. Wiederum byzantinischen Chroniken zufolge unternahm der Anführer des bulgarischen Stammes der Kutriguren, Khan Grod, im Jahre 528 einen mißglückten Versuch zur Christianisierung seines Volkes. Diese frühen Kontakte der Protobulgaren mit der christlichen Religion waren einer der Gründe ihrer gegenüber den Christen in den neubesiedelten Gebieten des Balkans geübten weitgehenden konfessionellen Toleranz, die den Boden zur Einführung des Christentums als Staatsreligion vorbereitete.

 

Selbst von der Religion der Protobulgaren besitzen wir sehr geringe Kenntnisse; dennoch gilt als sicher, daß sie Monotheisten waren und über einen voll entwickelten sakralen Ritus sowie eine prunkvolle sakrale Kunst verfügten. Die Fundamente ihrer Religion waren Ahnenkult und der Determinismus, dessen Erkenntnisse komplizierter kausaler Bedingtheiten aller Erscheinungen des psychischen und physischen Lebens im Mikro- und Makrokosmos den Erkenntnissen der Astronomie und Mathematik vorausgingen.

 

Die archäologische und philologische Forschung nimmt heute Abstand von der früher sehr verbreiteten These von dem geringen protobulgarischen ethnischen Anteil an der bulgarischen Nationalität und dessen restloser Auflösung in der slawischen Bevölkerung. Wir wissen jetzt, daß die Ansiedlung der Protobulgaren auf dem Balkan in drei Etappen vor sich gegangen ist. Nach dem Zerfall des Stammesverbandes Großbulgarien im letzten Drittel des 7. Jahrhunderts zog ein Teil der Stämme unter Führung des dritten Sohns Kubrats, Khan Asparuch (oder Isperich), südwestwärts und siedelte sich in der Ebene zwischen der Donau und den Karpaten an. Etwas früher ließ sich ein anderer Teil des Stammesverbandes unter dem Khan Kuver in Pannonien und anschließend in Makedonien nieder. Die erste Gruppe drang allmählich nach Süden vor und hatte bald das Gebiet zwischen dem Balkan und den Karpaten unter ihre Kontrolle gebracht. Um die Wende zum 8. Jahrhundert schloß sich ihr eine weitere Gruppe protobulgarischer Stämme aus Asien an. Die Hauptwelle protobulgarischer Ansiedlung erreichte die Balkanhalbinsel jedoch erst zu Beginn des 9. Jahrhunderts, gleichzeitig mit der Vereinigung beider Stammesverbände im Norden und Südwesten.

 

Die Festigung des zentralisierten Bulgarenreichs und dessen Ausdehnung nach Süden im Laufe des 9. und 10. Jahrhunderts wurde von einer regen Bau- und Kunsttätigkeit begleitet, die zu dieser Zeit nach Umfang und Qualität den vordersten Platz in Europa beanspruchen dürfte. Der kulturelle Aufschwung fiel mit der Niederlassung der dritten Gruppe protobulgarischer Stämme zusammen, die, aus dem Mittelpunkt des hunnischen Stammesverbandes kommend, ein bedeutend höheres kulturelles Niveau als die ersten protobulgarischen Ansiedler besaßen, zugleich aber, mit der byzantinischen Kultur nur wenig vertraut, um so stärker an der Tradition der Kultur und Kunst ihrer Heimat festhielten. Das erklärt, warum die Bautätigkeit in den bulgarischen Städten erst im 9. Jahrhundert einsetzte und der örtlichen Bautradition und -technik fremd gegenüberstand. Andererseits ist es folgerichtig, daß der Bedarf an Kult- und Repräsentationsräumen erst nach der Festigung eines geeinten Staates entstand und daß diese Bauaufgaben hauptsächlich auf der Basis eigener Tradition verwirklicht werden konnten. So folgen die Paläste in Pliska und Preslav aus dem 9. Jahrhundert nicht den ebenso prachtvollen wie monumentalen Palastanlagen in Konstantinopel, sondern anderen Vorbildern.

 

Nachdem die Hypothese vom sasanidischen Ursprung der protobulgarischen Baukunst schon in den 30er Jahren widerlegt wurde, widmet man in der letzten Zeit den Beziehungen zwischen der protobulgarischen und der

 

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armenischen Baukunst immer größere Aufmerksamkeit. Ohne Zweifel bestehen besonders mit den Palästen in Swartnotz, Dwin und Arutsch Gemeinsamkeiten, obwohl man auch dort keine unmittelbaren Prototypen für die Paläste von Pliska und Preslav finden kann: Weder die schmale eingebaute Apsis des Thronsaals in Pliska, die eine von den armenischen und syrischen Kirchen völlig abweichende Form der Überdachung voraussetzt, noch das unbewohnte Sockelgeschoß, charakteristisch für die bulgarischen Bauten - wie auch für die meisten vorder- und mittelasiatischen Repräsentationsbauten -, haben armenische Parallelen. Der Vergleich der bulgarischen Paläste und bestimmter späterer christlicher Bauten mit armenischen zeigt bei allen Gemeinsamkeiten, daß keine unmittelbare Verbindung vorliegt, sondern daß die Baukunst beider Völker gemeinsamen Vorbildern folgte, die wir bislang noch nicht kennen.

 

Wenn sich für die basilikalen Bauten der Protobulgaren mehr oder weniger nahe Parallelen der regionalen oder der östlichen Tradition heranziehen lassen, so fehlen sie für die Anlagen eines bestimmten Typus mit vermutlich kultischer Funktion, die später zu Kirchen umgebaut worden sind. Versuche, diese sogenannten heidnischen Tempel mit keltischen und iranischen Sakralbauten in Zusammenhang zu bringen, können nicht überzeugen. Uns begegnet hier ein festgelegter Bautypus, dessen Genesis und Entwicklung zu verfolgen wir wiederum nicht imstande sind. Dieser Typ ist kein Provisorium, und seine Vorläufer können keine hölzernen Bauten gewesen sein, sondern monumentale Steinbauten aus der Urheimat der Protobulgaren.

 

Noch deutlicher ist die Selbständigkeit der protobulgarischen Bautechnik und ihre Absetzung von der lokalen und der byzantinischen Tradition auf dem Balkan. Die überwiegende Zahl öffentlicher Bauwerke und Befestigungsanlagen aus dem 9. und frühen 10. Jahrhundert in beiden bulgarischen Hauptstädten Pliska und Preslav sowie an den Befestigungen der bulgarischen Stützpunkte in Tschatalar, Madara, Schumen, an der Donau und in der Süddobrudsha sind in einer Quadertechnik ausgeführt, die sowohl innerhalb des Balkans als auch in den anderen europäischen Gebieten des Römischen und Byzantinischen Reichs ungewöhnlich ist. Als Baumaterial wurden riesige, bis zu 1,5 m lange, sorgfältig bearbeitete Kalksteinquader verwendet, die durch eine dünne Mörtelschicht verbunden waren; die Grundmauern bildeten ebenso mehrere zusammengefügte Quaderreihen, deren Fundamente durch senkrecht in die Erde gerammte Pfähle und Mörtelguß die notwendige Festigkeit erhielten. Diese Bautechnik unterscheidet sich grundsätzlich vom syrischen und armenischen Quaderbau, bei dem es sich eigentlich um eine Verkleidung der inneren Mauerfüllung handelt. Auf dem Balkan war der Quaderbau zuletzt im dritten Jahrhundert v. Chr. angewandt worden, jedoch ebenfalls in einer anderen technischen Ausführung. Selbst von der Wiederbelebung der antik-hellenistischen Tradition der Baukunst im Zeitalter Justinians I. wurden die bulgarischen Gebiete nicht erfaßt; wir finden diese hellenistische Bautechnik im 6. Jahrhundert vorwiegend in den östlichen Provinzen des Byzantinischen Reichs, die kurz darauf unter die Herrschaft des Arabischen Kalifats gerieten. In geringem Umfang begegnet sie uns an der nördlichen Schwarzmeerküste, wo sie allerdings einigen protobulgarischen Volksstämmen zugeschrieben wird, deren Umsiedlung nach Südwesten vor der Chasarengefahr im Laufe des 9. Jahrhunderts erfolgte. Daß die Ursprünge der Quadertechnik der Bauten in Pliska, Preslav und an der nördlichen Schwarzmeerküste ebenso wie die der Bauformen der sogenannten heidnischen Tempel in der protobulgarischen Urheimat zu suchen sind, bestätigen die mittelasiatischen Ideogramme an den Quadern, die sich von den römischen, syrischen und armenischen Stempeln und Zeichen unterscheiden.

 

Auch nach der Einführung des Christentums im Jahr 865 blieb die Basilika die bevorzugte und zunächst die einzige für Kirchen angemessene Bauform. Ihre große Verbreitung in Bulgarien zu einer Zeit, als sie in Konstantinopel längst überholt war, ist eindeutig auf ihr großes Fassungsvermögen zurückzuführen. Die Basilika vermochte die neuen Aufgaben der christlichen Lehre vor allem in der Provinz vollauf zu befriedigen, wo diese Aufgaben eine große politische Bedeutung besaßen, so daß man sich wiederum dieser Bauform zuwandte, als das Problem der Massenchristianisierung von neuem entstanden war (Jakobson).

 

Inwiefern auch die lokale Tradition die Verbreitung der basilikalen Bauform begünstigte, ist Gegenstand einer anhaltenden wissenschaftlichen Kontroverse, bei der sich zwei Lager herausgebildet haben. Die erste Gruppe von Forschern vertritt die Auffassung, die ganze Bau- und Kunsttätigkeit in Bulgarien sei durch die Tradition bedingt, wenn auch in geringerem Maße durch slawische und protobulgarische Eigenarten mitgeformt. Dadurch wird den Slawen und Protobulgaren als »barbarischen Nomadenvölkern« die Fähigkeit, eine eigene Monumentalkunst zu schaffen, abgesprochen. Die zweite, entgegengesetzte Richtung geht von der Überlegung aus, daß die gesamte Bautätigkeit auf dem Balkan am Ausgang der Antike zum Erliegen kam und von außen neu belebt werden mußte, wobei man als Träger dieser neuen Kultur vor allem Baumeister und Künstler aus Konstantinopel und den östlichen byzantinischen Provinzen vermutet.

 

Die Erforschung der Baudenkmäler widerspricht solchen einseitigen Auffassungen. Die Zerstörung und Verwüstung der Gebiete nördlich des Balkans, die eine Dezimierung der Urbevölkerung zur Folge hatte, ist nicht zu leugnen. Die meisten zerstörten römischen Stützpunkte nördlich des Balkans waren zur Zeit der bulgarischen Invasion bereits verlassen, während auf den Ruinen anderer über einer breiten Brand- und Schuttschicht neue Siedlungen entstanden. Gleichzeitig boten die Städte südlich des Balkans ein höchst unterschiedliches Bild. Serdica, Philippopolis, Adrianopel, Nessebar und viele andere Städte konnten sich trotz der Zerstörungen erholen.

 

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Sie bewahrten die antike Kunst- und Bautradition wie die gesamte frühchristliche Kultur lebendig und wirkten nunmehr als neue Assimilierungspunkte für die angesiedelte slawische Bevölkerung, die zum großen Teil auch das Christentum annahm. Diese fortbestehenden kulturellen und religiösen Zentren wurden im Laufe des 8., 9. und 10. Jahrhunderts dem Bulgarischen Reich einverleibt. Ihr Anschluß führte innerhalb der unterschiedlichen ethnischen Elemente der sich herausbildenden bulgarischen Nation zu einem Übergewicht des slawischen Anteils seit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts. Andererseits waren die von der frühchristlichen Tradition stark geprägten südwestlichen Gebiete des Balkans schon seit Ende des 8. Jahrhunderts nicht nur räumlich und politisch, sondern ebenso kulturell wie religiös von dem bildfeindlichen Byzanz abgeschnitten. Die kirchlichen und kulturellen Mittelpunkte Serdica, Ochrid, Serrai und Kastoria standen auf Seiten der bilderfreundlichen Partei und hielten an der ikonographischen Tradition fest. Auf diese Weise wurden bereits zu Beginn des 9. Jahrhunderts die Grenzen zwischen zwei verschiedenen Kulturbereichen vorgezeichnet und auch von Byzanz anerkannt. Sie deckten sich im 10. Jahrhundert mit den Staatsgrenzen des Bulgarenreichs, die bis zum Ägäischen und Adriatischen Meer reichten. Das gesamte Gebiet wurde nach dem Untergang des Ersten Bulgarenreichs im Jahre 1018 dem Erzbistum von Ochrid unterstellt, das weiterhin eine gewisse Unabhängigkeit von Konstantinopel bis zum Ausgang des Mittelalters behauptete.

 

 

Architektur

 

Nach der Erklärung des Christentums zur Staatsreligion im Bulgarenreich im Jahre 865 begann man mit dem schriftlich belegten Bau von sieben großen Bischofskirchen, die Quellenberichten zufolge als Stiftungen des Fürsten Boris I. (852-889) errichtet wurden. Den ersten Rang unter ihnen nimmt die Erzbischofsbasilika in Pliska ein - der monumentalste und prächtigste Bau des 9. Jahrhunderts in Europa, gleichzeitig das bedeutendste Denkmal des triumphierenden Christentums in Bulgarien (S. Vaklinov). Bei dieser Basilika mit Atrium und Emporen gehen die lokale und die protobulgarische Bautradition eine Synthese ein, wobei gleichzeitig dem weströmischen kirchlichen Ritus wie dem Konstantinopeler Hofzeremoniell Rechnung getragen wurde. An einem von umfangreichen Klosteranlagen umgebenen Gelände außerhalb der Innenstadt gelegen, zu dem eine lange Prozessionsstraße vom fürstlichen Palast führte, diente sie als Hofkirche und zugleich als Kathedrale des Erzbischofs. Die geringe erhaltene Bausubstanz läßt die komplizierte Baugeschichte der Kirche kaum mehr genau verfolgen. Die Ausgrabungen der letzten Jahre lieferten jedoch neues umfangreiches Material, das - obgleich noch nicht völlig ausgewertet und veröffentlicht - die Hypothese vom spätantiken Ursprung der Anlage hinfällig werden ließ. Vielmehr deutet die Freilegung einer in der Kirche sekundär verwendeten Mauer auf die Existenz eines protobulgarischen Vorgängerbaus hin - vermutlich eines heidnischen Tempels. Mehrmalige Umbauten des Ostteils waren notwendig infolge einer teilweisen Zerstörung während der religiösen Kämpfe in den 80er Jahren des 9. Jahrhunderts; zugleich brachte der kurz aufeinanderfolgende Wechsel eines von Konstantinopel oder Rom abhängigen, dann schließlich autonomen bulgarischen Oberhauptes der Kirche Angleichungen des Sanktuariums an die jeweiligen kultischen Erfordernisse mit sich.

 

Der Bautypus der Erzbischofsbasilika wurde mit geringen Abweichungen und reduzierten Maßen im 9. Jahrhundert mehrmals nachgeahmt, darunter auch in zwei monumentalen gewölbten Basiliken in der Umgebung von Preslav - den Kirchen in den Ortschaften Sakalova Mogila und Gebe-klisse. Neben den sich zum Teil schablonenhaft wiederholenden Bauten traten zwei weitere Kirchen hervor: die große Palastkirche in Pliska, die aus einem heidnischen Tempel umgebaut wurde, sowie die vermutlich hölzerne Kirche in der Ortschaft Tscherescheto, Preslav, die von der slawischen profanen Baukunst beeinflußt gewesen sein dürfte.

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Pliska, Erzbischofsbasilika, letztes Drittel des 9. Jh.

 

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Der Holzbau war für Bulgarien nicht neu - die meisten Wohnhäuser der Thraker und der Slawen bestanden hauptsächlich aus Holz; zum erstenmal entstand hier jedoch eine in Holz ausgeführte Monumentalanlage. Wir wissen aus schriftlichen Quellen, daß außerdem in Sredez (Sofia) im io. Jahrhundert eine hölzerne Lukaskirche existiert haben soll. Im Unterschied zu den anderen slawischen Ländern fand dieser Bautypus in Bulgarien jedoch keine große Verbreitung; erst die schwierigen Verhältnisse während der osmanischen Herrschaft haben erneut zur Verwendung von Holz als Material für Kirchenbauten im Spätmittelalter geführt.

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Ochrid, Sophienkirche, 9.-14 Jh.

Grundriß, Westfassade und Längsschnitt

 

 

Zu den sieben von Boris I. gestifteten Bischofskirchen wird auch die Leontioskirche in Vodoca, Sitz des Bischofs von Strumica, gerechnet sowie die Ochrider Sophienkirche in ihrer ursprünglichen Gestalt vor den Umbauten im 10., 11. und 14. Jahrhundert. Die letztere zeigt, trotz beträchtlicher späterer Veränderungen, alle charakteristischen Merkmale dieser Bauten, vor allem in der auffallenden Gliederung des Innenraums durch lastendes Mauerwerk, mit massiven Wänden und niedrigen Arkaden, durchlaufenden Tonnengewölben über den Seitenschiffen und glatten Innen- und Außenmauern ohne bauplastischen Schmuck. Die Datierung einer weiteren Basilika, der Achillkirche am Prespasee, deren Bauplan an die Pliskaer Erzbischofskirche erinnert (jedoch ohne Atrium und Mitatorien), ist dagegen ungewiß; ihre Einweihung und zumindest ihr wesentlicher Umbau um 985 im Zusammenhang mit der Überführung der Reliquien des heiligen Achill ist urkundlich belegt, dennoch schließt dies die Möglichkeit einer früheren Gründung nicht aus.

 

Die christlichen Bauten Bulgariens aus dem 9. Jahrhundert folgen der Tradition der vorausgegangenen Epoche im zentralen Balkangebiet und führen jene Entwicklungstendenzen weiter, die bereits bei der Alten Metropolitenkirche in Nessebar auftraten (Abb. 32, 33) und in den Kirchen in Leuke, Rakitovo und der Sophienkirche von Sofia konsequent angewendet wurden (Abb. 9). Ihre Merkmale stehen im Gegensatz zu der zeitgenössischen hauptstädtischen Architektur in Byzanz, deren Einwirkungen die Eliaskirche bei Pirdop, (Abb. 28) die Basilika B (Derekler) in Philippi und die Bischofskirche in Caričin Grad verpflichtet sind. Diese Einwirkungen fanden im letzten Drittel des ersten Jahrtausends in Bulgarien keinen Widerhall. Als Bindeglieder der Entwicklung zwischen den massiven gewölbten Basiliken des 6. Jahrhunderts und den Bauten des späten 9. und 10. Jahrhunderts kommen lediglich die protobulgarischen Paläste in Pliska in Betracht, bei denen sich die Gliederung des Innenraumes durch massive Mauern weiter verstärkte. Da aber an den Steinbauten der Südwestgebiete des Bulgarenreichs dieselben Formen und Prinzipien wie an den christlichen Denkmälern von Pliska auftauchen, ist anzunehmen,

 

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daß auch Baumeister von dort berufen worden sind, die die umfangreichen Bauvorhaben des Fürsten Boris in Pliska ausführen sollten. Die Begegnung beider Bauschulen führte jedoch zu weitgehenden Wechselwirkungen, die sich auch an den neuen Bauten im südwestlichen Bulgarien bemerkbar machten. So dürfen wir eine Reihe von Besonderheiten der dortigen Bauten aus dem späten 9. und dem 10. Jahrhundert, wie bei der Achillkirche am Prespasee und der Sophienkirche in Ochrid, nicht ausschließlich von der lokalen Bautradition ableiten. Das betrifft vor allem das massive Mauerwerk zwischen den Schiffen und die schweren Gewölbe, aber auch bestimmte Formen der schlichten bauplastischen Verzierung an den Gesimsen und Archivolten.

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Nessebar, Kirche Johannes’ des Täufers, spätes 9. Jh.

 

 

Die Tendenz zur Gliederung des Innenraumes durch massives Mauerwerk und die Neigung zu schweren, lastenden Bauformen war so stark, daß sie sich nicht nur den basilikalen Bauten, sondern auch anderen Bautypen mitteilte - sowohl den einschiffigen kreuzförmigen Bauten, die ihre Vorläufer in den Kirchen in Botevo, Dshanavar-tepe, Ivanjane und Klisse-kjoj haben, als auch den Kuppelkirchen. Die letzteren bilden eine geschlossene Gruppe von Bauten, die sich ursprünglich kaum voneinander unterscheiden und deren Grundrisse denen der Basiliken sehr ähnlich sind. Ihre Raumwirkung steht im vollen Gegensatz zu der byzantinisch-hauptstädtischer Bauten. Den Innenraum dieser Kirchen beherrschen massive Pfeiler und schwere, niedrige Bögen; die Kuppel mit hohem Tambour öffnet den Raum nach oben. Der Altarraum hat nur geringe Ausmaße, die Pastophorien sind von ihm meist getrennt und gehen nach Osten in halbrunde Apsiden über - die Nebenapsiden sind gelegentlich auch in der Ostmauer eingetieft; die mit Tonnengewölben bedeckten Eckräume zwischen den wenig oder gar nicht herausragenden Kreuzarmen erreichen die Höhe des Haupt- und Querschiffs, was die kompakte Form der Bauwerke noch unterstreicht. Apsiden und Tamboure besitzen im Gegensatz zu den Bauten Konstantinopels keinerlei polygonale, sondern ausschließlich zylindrische und halbzylindrische Form; anstelle von Kreuzgewölben erscheinen nur Tonnengewölbe.

 

Am Beginn der Entwicklung dieses Bautypus stehen zwei Kirchen in Nessebar: die kürzlich ausgegrabene und nur in ihrer Substruktion erhaltene kleine Kreuzkuppelkirche nördlich der Alten Metropolitenkirche und die fast unversehrt auf uns gekommene Kirche Johannes’ des Täufers (Abb. 55, 56), beide vermutlich aus der Zeit kurz nach 865. Ähnliche Formen weisen mehrere Kirchen Westbulgariens auf, so die Gottesmutterkirche in Jana bei Sofia, Anfang unseres Jahrhunderts abgerissen, die Kirchen in Semen und Pataleniza (Abb. 57) sowie die Germanoskirche am Prespasee (um 993). Von allen diesen Kirchen hat nur die letztgenannte ihren ursprünglichen Zustand bewahrt, wenn auch mit späterem Putz versehen; sie verkörpert jedoch mit ihrem gewölbten Esonarthex und dem in malerischer Mischtechnik ausgeführten Mauerwerk eine etwas spätere Entwicklungsphase.

 

Die Beeinflussung des Typus der Kreuzkuppelkirche durch Formen der gewölbten und der Kuppelbasilika im Zentralteil des Balkans belegt auch die weit entfernt liegende Kirche in Skripu, Böotien (um 873/74), deren Entstehung von der bulgarischen Baukunst abhängig zu sein scheint. Wenn auch einige Besonderheiten dieser Kirche, wie der verlängerte Altarvorraum und die niedrigen gewölbten Eckräume zwischen den stark herausragenden Kreuzarmen, auf Konstantinopeler Einwirkungen hindeuten, so steht sie doch insgesamt den zeitgenössischen bulgarischen Bauten, darunter besonders der Sophienkirche in Ochrid, sehr nahe, so daß die Ausführung denselben Baumeistern zugeschrieben werden kann. Solche weitreichenden Verbindungen überzeugen um so mehr, da die Kirche in Skripu unmittelbar nach dem Bilderstreit entstanden ist, als auch die hauptstädtische Kunst Konstantinopels auf die den Bildersturm überlebenden Prototypen zurückgreifen mußte, wie sie sich im Bulgarenreich fanden. Die Kirche in Skripu ist von allen anderen byzantinischen Bauwerken des 9. Jahrhunderts völlig isoliert - ihr Grundriß taucht erst im 10. Jahrhundert in modifizierter Form bei anderen Bauten im Süden der Balkanhalbinsel auf und löst sich schließlich im hauptstädtischen Kreuzkuppeltypus auf.

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Kastoria, Stephanoskirche, 10. Jh.

 

 

Die Berührung von Basilika und Kreuzkuppelkirche auf dem Boden Bulgariens wirkte in gewisser Weise auch auf die Basilika zurück. Der für die Kreuzkuppelkirche charakteristische Höhendrang bei gleichzeitiger Verringerung ihrer Ausmaße griff im 10. Jahrhundert auch auf neuerbaute Basiliken über.

 

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Preslav, Erzbischofskathedrale, spätes 9. Jh.

Pliska, Bojarenkirche, 10. Jh.

Viniza, Kreuzkuppelkirche, 10. Jh.

 

 

Es entstand eine Variante des basilikalen Bautypus, deren Grundriß sich von dem kleinerer Kreuzkuppelkirchen mit eingebauten Eckräumen kaum unterscheidet. Infolge des unzureichenden Erhaltungszustandes sind Rückschlüsse auf den ursprünglichen Bautypus solcher Anlagen, zum Beispiel der Kirchen Nr. 5, 8, 36 und der sogenannten Bojarenkirche in Pliska, nur bedingt möglich. Wir können diese basilikale Sonderform dennoch auch an einer Reihe weiterer Bauten verfolgen, deren ursprünglicher Zustand kaum beeinträchtigt wurde, so vor allem an der Stephanoskirche in Nessebar und den drei Kirchen in Kastoria - Hagioi Anargyrioi, Hagios Stephanos und Archont Michael. Alle diese Kirchen weisen, unabhängig von ihrer unterschiedlichen Dachform und Trennung der Schiffe, gleichermaßen verkürzte Proportionen und nach oben strebende Mittelschiffe auf, so daß sich ihr Raumverhältnis dem der Kreuzkuppelkirche annähert. Gleichzeitig tendieren diese Kirchen, wie die von Pliska, zu der für das späte 10. Jahrhundert charakteristischen malerischen Gestaltung und Gliederung der Fassaden.

 

In der Architektur Bulgariens aus dem späten 9. und frühen 10. Jahrhundert nehmen zwei Bauwerke eine Sonderstellung ein: die vermutlich ursprüngliche Kathedrale und die Goldene Runde Kirche in Preslav (Abb. 40). Die erste, auch als Kirche am Winkel der Innenstadtmauer bekannt, stellt eine fünfschiffige Kreuzkuppelanlage mit Synthronon und weitem Narthex dar, in der Folgezeit zweimal durch Umbauten verkleinert. Ihr Grundriß wiederholt sich später an der Kathedrale von Mokwi, Abchasien (um 955-967), an der Desjatin-Kirche (989 bis 996) und an der Kirche des Irenen-Klosters in Kiew sowie in weiterentwickelter Form mit Außengalerien an der Kiewer Sophienkathedrale (n. Jh.).

 

Wenn auch die ursprüngliche Bestimmung der Runden Kirche in Preslav umstritten bleibt - es wird hier sowohl ein im Auftrag von Boris I. errichtetes Baptisterium als auch ein von dessen Sohn Vladimir gebauter heidnischer Tempel vermutet -, so verdankt sie ihren Ruhm dem prächtigen Umbau in der frühen Regierungszeit Zar Simeons (895-927). Obwohl die Form des Zentralbaus für die frühe bulgarische christliche Baukunst höchst ungewöhnlich erscheint, besitzt sie in der Durchsetzung des zentralistischen Prinzips im Aufbau des Staates und in der kirchlichen Verwaltung eine gewisse Analogie: Simeon schuf sich mit dieser Kirche, wie vor ihm Justinian I. in Konstantinopel und Karl der Große in Aachen, ein Symbol seiner autokratischen Stellung. An dieser nur in Überresten erhaltenen Kirche, von der wir uns aus Beschreibungen von Zeitgenossen ein ungefähres Bild machen können, vollendete sich die letzte Stufe der Synthese protobulgarischer und hellenistisch-römischer Kunsttradition, die der ehrgeizige und sich durch Gelehrsamkeit auszeichnende Herrscher anstrebte. Hier nahm der Monumentalstil der bulgarischen Baukunst, an dem Plastik, Mosaik, Malerei, Schmuck von Edelmetall und Keramik gleichermaßen beteiligt waren, seine endgültige Form an.

 

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Preslav, Runde Kirche, kurz vor 907.

Rekonstruktion

 

 

Mit diesem Bau wurde das Repräsentationsstreben seiner Vorgänger durch die lebensbejahende Vollkommenheit und Schönheit antiker Formen bereichert.

 

Während der Regierungszeit des Nachfolgers Simeons, des Zaren Petar (927-969), den die bulgarische orthodoxe Kirche, ebenso wie Fürst Boris, wegen seiner Frömmigkeit heiliggesprochen hat, gewannen in der Baukunst wiederum neue Züge die Oberhand. Die Dimensionen der Bauten verringerten sich wesentlich; gleichzeitig mit der Einführung des Konstantinopeler Typus der Kreuzkuppelkirche verbreiteten sich weitere der byzantinischen hauptstädtischen Baukunst geläufige Formen der Innen- und Außengestaltung. Die massiven Pfeiler wurden durch eleganter wirkende Säulen ersetzt; hin und wieder stößt man auf einen verlängerten Altarvorraum, so daß die bulgarischen Kreuzkuppelkirchen aus der Mitte des 10. Jahrhunderts, wie die Hofkapelle in Pliska, veränderte Raumverhältnisse gegenüber früheren Bauten aufweisen. Daneben entstanden auch kleinere Kirchen mit quadratischem oder kreuzförmigem Naos, deren Kuppeln auf Pilastern ohne Trompen und Pendentifs ruhen sowie verschiedene Varianten des Übergangstypus zwischen den Kuppelkirchen mit und ohne freien Stützen. Als eine Sonderform sind noch mehrere trikonchale Anlagen mit Kuppeln zu erwähnen, darunter die Kirchen Nr. 28 in Pliska, die Panteleimonoskirche und die Kirche des Naum-Klosters in Ochrid, deren Grundriß sich wesentlich von dem anderer Dreipaßkirchen im Westteil der Balkanhalbinsel unterscheidet und sich von den Baptisterien des 6. Jahrhunderts im Zentralbalkan sowie von der Preslaver Runden Kirche ableiten läßt. Für die zahlreichen Klöster, wie die ausgegrabenen Ruinen Patlejna und Avradak bei Preslav, sind die langgestreckten Klausuren typisch, die im Unterschied zu den Bauten des syrisch-athonitischen Klostertypus keine geschlossenen Anlagen mit Innenhof bilden.

 

Während sich die Außenverzierung der ersten christlichen Bauten des Bulgarenreichs im 9. Jahrhundert mit den sparsam profilierten Traufgesimsen an den glatten Mauern begnügte, kündete sich noch vor dem Ende des Jahrhunderts eine Tendenz zu lebhafterer Gestaltung der Fassaden an. Schon die Basiliken Nr. 25 und 36 in Pliska (spätes 9. Jh.) weisen eine Gliederung der Seitenfassaden durch die sogenannten pseudokonstruktiven Blendbögen auf, wie sie uns an der Basilika in Pirintschtepe in der vorausgegangenen Epoche begegnen. Diese Blendbögen unterscheiden sich grundsätzlich von den sogenannten konstruktiven Blendbögen byzantinischer Bauten, die die Innengliederung des Raumes an den Fassaden erkennen lassen. Die rhythmische Folge gleichförmiger Blendbögen an den Seitenfassaden sowohl der Basiliken als auch der Kreuzkuppelkirchen, welche die Zentralbautendenz zurückdrängen, blieb als eine Besonderheit der bulgarischen Bautradition bis zum späten Mittelalter erhalten und wurde durch die malerische Wirkung der Mischtechnik noch verstärkt.

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Pliska, Kirche Nr. 28, 10. Jh.

Ochrid, Panteleimonoskirche, 10. Jh.

 

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Preslav, Kloster Patlejna, Klosterkirche, 10. Jh.

Axonometrie (Rekonstruktion)

 

 

Im Unterschied zu den Bauten der byzantinischen hauptstädtischen Schule bestehen die Gesimse an den bulgarischen Bauten fast ausschließlich aus Stein, wobei seit dem 10. Jahrhundert auch Keramikinkrustationen als plastische Verzierung Anwendung fanden. Die Archivolten wurden in Mischtechnik ausgeführt, während die byzantinische Baukunst Backstein bevorzugte; häufig weisen sie reiche keramische Schmuckelemente auf. Seit dem io. Jahrhundert wurde die Ostfassade durch bauplastischen Schmuck stärker ausgezeichnet. Neben den mit Archivolten umrahmten Fenstern und Blendbögen erscheint der lombardische Arkadenfries von kleinen, gelegentlich profilierten Bögen, der das Apsisgesims bekrönt (Kloster Avradak, Stephanoskirche in Nessebar) (Abb. 63). Die malerische Wirkung erfuhr durch die Inkrustationen aus buntglasierten Keramikrosetten und -näpfchen eine weitere Steigerung. Allmählich erfaßte die Verzierung auch die übrigen Außenwände und gelangte schließlich im Inkrustationsstil der Kirchen von Nessebar im 14. Jahrhundert zu höchster Vollendung. (Abb. 15 bis 15)

 

Die Gestaltung des architektonisch und plastisch reich ausgebildeten Atriums, das an der Erzbischofsbasilika in Pliska und der Runden Kirche in Preslav auffällt, übertrug sich im Laufe des 10. Jahrhunderts unter Verzicht auf ein Atrium auf die Gestaltung der Westfassade der Kirchen, die nunmehr als Hauptschauseite vielfältige Bauformen vereinte - Portale mit Arkaden sowie quadratische Türme, die sich über dem Narthex erheben oder das Hauptportal flankieren. Zweitürmige Westfassaden sind bereits an der spätantiken Sophienkirche in Sofia (Abb. 9) und den Kirchen in Buchovo und Dshanavar-tepe vorgebildet. Während sich bei den byzantinischen Bauten die Türme in flache und niedrige Kuppeln mit achtseitigen Tambouren verwandeln, bleiben sie als Besonderheit der bulgarischen Baukunst nicht nur im 10. Jahrhundert (die Runde Kirche, die Klosterkirchen in Patlejna und Avradak) (Abb. 40), sondern bis ins 14. Jahrhundert (Gottesmutterkirche in Dolna Kamenica, vor 1330) erhalten.

 

In der malerischen Wirkung der bunten Fassaden drückt sich eine weitere Besonderheit der bulgarischen Bauschule aus, die erstmalig zu Beginn des 10. Jahrhunderts in Preslav vorkommt. Schon die zeitgenössischen Beschreibungen der Hauptstadt rühmen die Schönheit der »mit viel Stein und Holz und Farben« verzierten Paläste und Kirchen. Sie geben Grund zu der Annahme, daß ein großer Teil der Bauten verputzt und bemalt war. Begreiflicherweise blieb von den Bauten aus Holz nichts erhalten, doch die Grundmauern der großen hölzernen Kirche in Tscherescheto, Preslav, lassen keinen Zweifel an ihrer Existenz aufkommen. Außerdem sind mehrere bunte Marmorfragmente der Außenverzierung repräsentativer Bauten überliefert, die wie die keramischen Inkrustationen als kleine Rhomben, Quadrate und Rundscheiben, häufig auch kleine plastische Rosetten die Fassaden durch einen malerischen Akzent bereicherten.

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Preslav, Runde Kirche, kurz vor 907.

Ornamente, glasierte Keramik

 

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Preslav, Runde Kirche, kurz vor 907. Ornament, glasierte Keramik

 

 

Dekorative Keramik

 

Die glasierte Keramik findet vielseitige Anwendung bei den repräsentativen Bauten in Preslav nicht nur als Fassadenschmuck, sondern auch in Form von großen und kleinen bemalten Platten für die Verkleidung der Außen- und Innenwände sowie als Bodenbelag. Der Bildschmuck reicht von abstrakten geometrischen Figuren, oft in sehr komplizierten profilierten und durchbrochenen Formen (die große Rosette im Nationalmuseum Sofia) (Abb. 48), bis zum stark stilisierten Pflanzenornament und Heiligenbildnis. Im ornamentalen Motivschatz, in dem die christliche und die islamische Kunst Vorder- und Mittelasiens deutlich nachleben, kehrt das als Symbol der Auferstehung im Hochmittelalter durch die Kreuzfahrer auch ins Abendland gelangte Motiv der Rose von Jericho häufig wieder. Innerhalb der bulgarischen Baukunst erscheint dieses Motiv erstmalig auf der Preslaver Keramik und gehört seitdem bis zum Ausgang des Mittelalters zum festen ornamentalen Dekor der Bauten.

 

Die Darstellungen von Heiligen und Engeln auf bemalter Keramik sind nur fragmentarisch erhalten, so daß wir nur wenige, (Abb. 58) wie die große Ikone des heiligen Theodoros sowie die kleinen Platten mit Apostel- und Heiligenbildnissen aus dem Kloster Tuslalak, vollständig rekonstruieren könnten. Sowohl die strenge graphische Behandlung der Formen als auch die Ikonographie stehen hier, wie schon die Ornamentik der bemalten Keramik von Preslav, stark unter dem Einfluß der Kunst des Christlichen Ostens, die auch während der ganzen vorausgegangenen Epoche für die Kunst des Balkans maßgebend war. Stilistisch und technisch folgen diese keramischen Ikonen der frühchristlichen Malerei aus Bawit und Kleinasien sowie deren Ausläufern in der islamischen Kunst des 8. und 9. Jahrhunderts (Samara).

 

Bei der bemalten Keramik von Preslav bietet sich die in der Kunstgeschichte seltene Gelegenheit, einen schöpferischen Prozeß in allen Phasen zu beobachten. Wie bei den Kunstwerkstätten von Amarna in Ägypten war eine plötzliche Unterbrechung der Arbeit - hier wahrscheinlich infolge der Eroberung der Stadt durch Byzanz (972) - die Ursache dafür, daß alle Geräte und Formen an den Brandöfen der größten Produktionszentren dieses Kunsthandwerks in den Klöstern Patlejna, Tuslalak und im Kloster »in der Nähe der Goldenen Kirche« erhalten geblieben sind und uns die Ausgrabungen Einblicke in die Entstehungsvorgänge ermöglichen. Nach dieser folgenschweren Unterbrechung, als die bemalte Keramik von Preslav ihren Höhepunkt bereits erreicht hatte, verlor sie an Bedeutung. Zwar begegnen wir an einigen Bauten Konstantinopels aus dem 10. und 11. Jahrhundert wiederum glasierter Keramik, doch zeigt sie dort weder große künstlerische Qualitäten noch hohes technisches Können. Es bestehen Gründe zur Annahme, daß diese Werke von den Meistern aus Preslav stammen, die nach dessen Eroberung in der byzantinischen Hauptstadt neue Aufgaben fanden, sich jedoch in der fremden Umgebung nicht zu besonderen Leistungen aufschwingen konnten. Bis ins 14. Jahrhundert blieb die glasierte - doch nicht mehr bemalte - Keramik weiterhin Bestandteil der Außenverzierung bulgarischer Bauten, trat aber weit hinter der Plastik und der Freskomalerei zurück.

 

 

Mosaik

 

Die Ausgrabungen in Preslav bestätigen, daß neben der bemalten Keramik das Mosaik eine bedeutende Rolle für die Innenausstattung gespielt hat, obgleich sich keine nennenswerten Fragmente erhalten haben. V. Ivanova-Mavrodinova gelang es überzeugend nachzuweisen, daß die Miniatur einer russischen illustrierten Handschrift aus dem 12. Jahrhundert mit Werken des hl. Hippolyts (Historisches Museum Moskau) eine bulgarische Handschrift kopiert, die ihrerseits auf das Stiftermosaik des Zaren Simeon in der Runden Kirche zurückgeht.

 

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Preslav, Kloster Avradak, Kirche Nr. 1, 10. Jh.

Bodenmosaik

 

 

Mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit stellt das Bildnis des Fürsten Boris in einer weiteren russischen Handschrift, dem Sammelband ausgewählter Sonntags-Perikopen mit Kommentaren, verfaßt von Konstantin von Preslav (Historisches Museum Moskau), die Kopie einer bulgarischen Miniatur vom Ende des 9. Jahrhunderts, gleichfalls eine Nachbildung Preslaver Mosaiks, dar. Auf Grund der erhaltenen Mosaikwürfel ergibt sich, daß die Wandbilder einen goldenen Hintergrund hatten, doch im Unterschied zu den zeitgenössischen byzantinischen Mosaiken außer aus Glas auch aus vielen farbigen Keramikwürfeln bestanden, wodurch sich das Kolorit wesentlich von dem byzantinischer Mosaiken unterschieden haben dürfte.

 

Von Bodenmosaiken sind weit mehr Überreste auf uns gekommen, wie das fast vollständig erhaltene Fußbodenmosaik der Kirche Nr. 1 im Kloster Avradak. Die Ornamentik zeigt meist geometrische Figuren oder Pflanzenmotive in gerahmten Feldern; die einzelnen Platten bestehen aus farbigem Marmor, doch mitunter - wiederum eine Besonderheit der bulgarischen Kunst - aus bemalter oder glasierter Keramik.

 

 

Malerei

 

Die Freskomalerei tritt in Pliska und Preslav anscheinend hinter der bemalten Keramik und dem Mosaik zurück, doch ist sie durch Ausgrabungen belegt. Ferner erwähnen mehrere Schriftquellen Monumental- und Ikonenmalerei in hauptstädtischen Bauten Bulgariens, so die Berichte byzantinischer Chroniken, wonach ein Maler namens Methodios das Jüngste Gericht im Palast des Fürsten Boris gemalt haben soll, und der Hinweis von Johannes Exarchos in der Beschreibung Preslavs auf ein Bildnis des Zaren Simeon »an der Wandmauer mit Farben gemalt«. Leon Diakonos berichtet über das Beutegut, das der byzantinische Kaiser Johannes I. Tzimiskes nach der Eroberung Preslavs (972) nach Konstantinopel überführen ließ und als dessen wertvollstes Stück eine Ikone der Muttergottes bezeichnet wird. Es handelt sich wahrscheinlich um ein Werk aus der Zeit vor dem Bilderstreit, das nach der Wiederherstellung der Bilderverehrung als unschätzbare Reliquie galt. Indirekt deuten die von Johannes Exarchos übersetzten Werke des Johannes Damaszensos, dem wir eine der besten theologischen Streitschriften zugunsten der Bilderverehrung verdanken, sowie die Rede des Priesters Kosma gegen die Bogomilen (10. Jh.) auf eine weite Verbreitung des Ikonenkultus und damit der Ikonenmalerei hin.

 

Anders als in den beiden Hauptstädten Pliska und Preslav spielte die Freskomalerei in den südwestlichen Gebieten, in denen die frühchristliche Tradition ungebrochen weiterlebte, eine maßgebende Rolle. Gerade in den letzten zwei Jahrzehnten sind mehrere Denkmäler aus dem 9. bis 11. Jahrhundert neu entdeckt und freigelegt worden, die unsere bislang lückenhaften Kenntnisse wesentlich vervollständigen. Neben den bereits bekannten, jedoch seit den 30er Jahren abgeblätterten und verblaßten Freskofragmenten der Leontioskirche in Vodoča und der Georgsrotunde in Sofia (Abb. 65) sowie den Fragmenten aus der Anargyrienkirche in Kastoria brachte die Arbeit jugoslawischer, griechischer und bulgarischer Restauratoren mehrere neue Wandbilder ans Licht. So lassen die dem späten 9. und 10. Jahrhundert angehörenden Freskofragmente von Vodoča, Semen und Sofia (Abb. 64) die in den 50er Jahren freigelegten Fresken des Chorraums der Ochrider Sophienkirche (Abb. 75, 76) - das bedeutendste erhaltene Freskenensemble - aus dem ersten Jahrtausend weder zeitlich noch räumlich isoliert erscheinen.

 

Diese Fresken sind dem expressiven Stil und der archaischen Ikonographie der frühchristlichen Kunst verpflichtet. Bei harter und steifer Modellierung überwiegt eine flache, graphisch-lineare Behandlung der stark stilisierten Formen.

 

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Der expressive und drastische Realismus steht hier im vollen Gegensatz zu dem spätantiken Illusionismus und zum klassizistischen Idealismus der Kunst Konstantinopels nach dem Bilderstreit. Die Farbskala ist im Vergleich zu der hellenistisch-antiken ärmer an Nuancen und besteht hauptsächlich aus reinen Naturfarben, die auf große Flächen aufgetragen werden und denen oft eine symbolische Bedeutung zugrunde liegt: Neben dem intensiven Hellblau und Olivgrün des Hintergrunds, als Symbol für Himmel und Erde, erscheinen am häufigsten einige Ockerfarben, rote Erde, Sepia und Umbra. Die Gegenüberstellung der Naturfarben sowie die warmen grünen Schatten neben den rötlichen und braunen Linien der Konturen vermitteln den Eindruck einer Formenwelt, deren Einzelheiten uns vertraut anmuten, obgleich sie von der Natur der Umwelt abweichen. Das gilt auch für die ekstatisch geöffneten Augen, die meistens auf den Betrachter gerichtet zu sein scheinen, jedoch in unbestimmte Ferne blicken. Die weihevolle Haltung der überwiegend frontal dargestellten Heiligenfiguren steigert die Stimmung der mystischen Feierlichkeit. Doch wiederum sind diese Figuren keine abstrakten Schemata; sie erscheinen als einfache, mit einem urwüchsigen Naturalismus dargestellte Menschen in ihrem naturgegebenen Milieu, das sie »zwischen Himmel und Erde« ansiedelt - im vollen Gegensatz zu den abstrakten Gestalten der byzantinischen Mosaiken, die, durch den goldenen Hintergrund von Zeit und Raum getrennt, wie das ewige Ideal unbegreiflich und unerreichbar erscheinen. Die Lebendigkeit des Ausdrucks und die Kraft des Gefühls der Wandbilder mit der Szene des Martyriums der Vierzig Soldaten von Sebasteia in Vodoča und Ochrid strahlen auch heute eine unvermindert dramatische Wirkung aus. Ein Vergleich mit der Darstellung derselben Szene auf einem Konstantinopeler Elfenbeinrelief des io. Jahrhunderts genügt, um den Unterschied beider entgegengesetzter Auffassungen zu verdeutlichen.

 

Das Bildprogramm und die Ikonographie der Ochrider Wandmalerei - wie auch der Freskofragmente aus Sofia, Kastoria, Vodoča und Semen - ist ebenso frühchristlich. Der gesamten Bildgestaltung im Kircheninneren liegt der Gedanke von der Aufeinanderbezogenheit der Himmlischen und Irdischen Kirche zugrunde, wie er sich paradigmatisch in dem Bildschema der Szene Himmelfahrt Christi ausdrückt. Die Himmlische Kirche, vertreten durch Christus und die himmlischen Hierarchien, erscheint in der oberen Zone; sie wird mit der in der unteren Zone dargestellten Irdischen Kirche mit der Gottesmutter sowie den Aposteln als Repräsentanten der christlichen Gemeinde in Verbindung gesetzt. Das auf sämtliche Wandflächen, oder mindestens auf die Chorwände, verteilte Schema umfaßt zunächst die Prophetenbildnisse sowie Darstellungen einzelner Phasen der Inkarnation des Logos, ergänzt von Gleichnissen des Alten und Neuen Testaments. In der darunterliegenden Zone erscheinen die Märtyrer und die Heiligen als Stützen der Irdischen Kirche und Vermittler zwischen christlicher Gemeinde und Himmlischer Kirche. Einen Sonderfall bietet das Bildprogramm der Sophienkirche in Ochrid, wo neben den üblichen Kirchenlehrern eine Galerie von Bildnissen hervorragender Vertreter der östlichen und westlichen Kirche erscheint (Abb. 76). Beim Umbau dieser Kirche zum Patriarchensitz während der Herrschaft von Zar Samuil (993-1014) entstanden, sollten sie die unabhängige Stellung des bulgarischen Patriarchats in der Zeit kurz vor dem Großen Schisma - der Spaltung zwischen Konstantinopel und Rom - sowie seine Bindung an die christliche Tradition betonen.

 

Der byzantinischen Kunst nach dem Bilderstreit ist die komplizierte Symbolik des ikonographischen Typus der Gottesmutter Nikopoia, (Abb. 75) wie wir ihn an der Apsiskonche der Sophienkirche in Ochrid finden, fremd. Auch hier genügt ein Vergleich mit der Darstellung an der Apsis der Sophienkirche in Konstantinopel, um den Unterschied weniger in der künstlerischen Qualität als in der grundlegend entgegengesetzten Auffassung abzulesen. Auf der einen Seite finden wir in Ochrid ein Symbol - das Symbol der gottmenschlichen Natur Christi, eines der kompliziertesten der Theologie, das uns mit einer ungebrochenen Überzeugungskraft entgegentritt, so daß es zugleich menschennah und begreiflich erscheint. In Konstantinopel dagegen steht vor uns das von allem Irdischen, aber auch von seiner mystischen Bedeutung gelöste Ideal, das unendlich fern bleibt.

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Sbornik des Großfürsten Swjatoslaw von 1073, Kiew, Historisches Museum Moskau, Stifterbildnis des Zaren Simeon

 

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Wir beobachten in der Malerei der Kirchen im Südwesten der Balkanhalbinsel bis ins Spätmittelalter eine Reihe weiterer frühchristlicher Symbole und ikonographischer Typen, sorgfältig in der Tradition aufbewahrt. So erscheinen die Darstellungen der Deesis und der Gottesmutter Paraklesis in der zweiten Malschicht der Anargyrienkirche, Kastoria (12. Jh.) (Abb. 184, 186), und der Nikolaoskirche in Mariza (16. Jh.), die Friese mit Prophetenbildnissen in der Erzengelkirche in Tran (14. Jh.) und Mariza (Abb. 185) sowie bestimmte Typen von Festszenen und einzelnen Heiligen bei den meisten hochund spätmittelalterlichen Kirchen aus diesem Gebiet, wie in der zweiten Malschicht der Kirche in Semen (13. Jh.) (Abb. 127 bis 131), als Fortsetzung derselben Tradition. Diese Fresken folgen den Prototypen aus der Zeit vor oder unmittelbar nach dem Bilderstreit und lassen das ikonographische Programm der mittelbyzantinischen Zeit weitgehend außer acht. In der zweiten Malschicht von Semen und an der Nikolaoskirche in Mariza (Abb. 180 bis 189) treffen wir auf jenes spezifische Kompositionsprinzip, bei dem die Figuren der oberen Zonen zunehmend verkürzt wiedergegeben werden - im Gegensatz zu den mittelbyzantinischen Fresken und Mosaiken, wo sich die Proportionen der menschlichen Figuren in den oberen Registern verlängern. Damit wird hier optisch ein höherer Raum vorgetäuscht und nicht, wie bei den byzantinischen Denkmälern, die perspektivische Verkürzung ausgeglichen. Es gibt viele Gründe anzunehmen, daß dieses Kompositionsprinzip in der frühchristlichen Kunst entstanden und durch nicht überlieferte Werke innerhalb eines weiten Einflußbereichs verbreitet worden ist. Seine Durchsetzung beobachten wir auch an zwei Bauwerken, deren Mosaiken der byzantinisch-hauptstädtischen Kunst gleichfalls fremd sind, nämlich an Hosios Lukas in Phokis und der Sophienkirche in Kiew. Ebenso wie die Mosaiken in Hosios Lukas (Anfang des 11. Jh.) bestimmte stilistische und ikonographische Linien der Kunst vor dem Bilderstreit, ähnlich den Ochrider Fresken, fortsetzen, so zeigen auch die Mosaiken und Fresken der Kiewer Kathedrale (1037-1061) eine weitere Entwicklung jener Kunstprinzipien der Ikonographie und des Stils, die wir bei der Sophienkirche in Ochrid beobachten konnten. Zur Erklärung dieser Zusammenhänge müssen wir die, Beobachtungen russischer Forscher aus dem vorigen Jahrhundert heranziehen, die bereits die engen Beziehungen zwischen Literatur und Miniaturmalerei des Ersten Bulgarenreichs und der Kiewer Rus feststellten. Daß solche Beziehungen auch in der Baukunst vorhanden sind, beweisen die ziemlich nahen Bauformen der ersten Preslaver Kathedrale einerseits und der frühen Kiewer Kirchen andererseits.

 

 

Plastik und Toreutik

 

Wie in der spätantiken Kunst des zentralen Balkans stellt die Plastik sowohl für die Slawen als auch für die Protobulgaren eine seit vorchristlicher Zeit vertraute Kunstgattung dar. Die Zahl der überlieferten Werke der slawischen Plastik ist jedoch, ebenso wie ihre künstlerische Qualität, sehr begrenzt. Mit großem Vorbehalt werden den Slawen drei anthropomorphe steinerne Flachreliefs (Archäologisches Museum Varna) zugeschrieben. Daneben kennen wir eine Reihe protobulgarischer anthropomorpher Steinfiguren, die in Nordbulgarien und in der Urheimat der Protobulgaren, in den südwestlichen Gebieten der Sowjetunion, gefunden worden sind und vermutlich Kenotaphien darstellen, also Denkmäler zu Ehren der fern von ihrer Heimat gefallenen Krieger. Während diese monumentalen Plastiken wiederum der schlichten Volkskunst nahestehen, besitzen wir auch Werke von beachtlicher Qualität, die die Kontinuität der protobulgarischen Kunsttradition bezeugen. Das wichtigste unter ihnen ist das Felsenrelief von Madara - das einzige frühmittelalterliche Monumentalrelief Europas. Hoch über dem bedeutendsten protobulgarischen heidnischen Heiligtum in den Felsen gehauen, war es offensichtlich als magisch-beschwörende Zauberdarstellung konzipiert: Vermutlich kurz vor dem großen Feldzug der Bulgaren gegen Byzanz (814) entstanden (Abb. xx bis xx), sollte es dem bulgarischen Khan Krum (803-814) im bevorstehenden Zweikampf mit dem byzantinischen Kaiser Leon V. (813-820) zum Sieg verhelfen. Dem Bilde des triumphierenden bulgarischen Herrschers als Reiter über dem von ihm bezwungenen Löwen liegen die Kunsttraditionen der Thraker (die Votivreliefs des Thrakischen Heros) und Mittelasiens (die Votivfiguren der Halbgöttin Lha-Mo) zugrunde. Charakteristisch waren neben den in einem stark ausgeprägten Monumentalstil behandelten Formen auch die heute fehlenden Edelmetallapplikationen, die die bulgarische Kunst aus der mittelasiatischen übernommen hatte. Das Felsenrelief von Madara ist in der vorchristlichen Plastik des Ersten Bulgarenreichs keine isolierte Erscheinung; ihm lassen sich noch mehrere Monumentalplastiken und Reliefs, wie die Löwenfiguren aus Pliska, Tschatalar und Preslav sowie die erst in jüngerer Zeit verschollenen Plastiken und Reiterreliefs von der Festung in Kaliakra, zuordnen, deren dekorativ-ornamentaler Stil in der christlichen Kunst weiterentwickelt wurde.

 

Mit ihrem Formenreichtum knüpft die bulgarische christliche Plastik an die volkstümliche Stilrichtung der vorangegangenen Entwicklungsstufe an. Die phantastischen Schöpfungen, die in ihrem Bildprogramm dominieren und in denen die zoomorphen Motive mit Gestalten von Ungeheuern verschmelzen, haben ihren Ursprung in der Naturreligion der Völker Mittelasiens, wo sie als Symbole der Naturgewalt die Phantasie der Menschen beherrscht haben. Diese Bildwelt prägte weitgehend auch die Bauplastik des späten 9. und frühen 10. Jahrhunderts bei der Verzierung der Chorschranken (Reliefs aus Stara Sagora und Drenovo) (Abb. 68 bis 70, 72, 73) und Kirchenportale (Tympanonrelief mit Löwin im Nationalmuseum Sofia) sowie der Kapitelle (Kämpferkapitelle mit Tierdarstellungen aus Preslav und Stara Sagora) (Abb. 71). Nicht nur die Voluten, sondern auch die stilisierten Ranken und Akanthusblätter mit Kreuzen und Christogrammen sind

 

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hier völlig verschwunden - die ganze Fläche der Reliefs beziehungsweise alle vier Seiten der Kämpferkapitelle werden von phantastischen Tierdarstellungen und Fabelwesen überzogen, die den Bauwerken eine eigenartige, durchaus nicht christliche Prägung verleihen. Unfähig, sich der christlichen Symbolik und besonders den antikisierenden Tendenzen der Hofkunst anzupassen, wurde der Tierstil im Laufe des 10. Jahrhunderts von den Bauten Preslavs verdrängt. Er kam nur noch an provinziellen Bauwerken vor, verlor jedoch an Präzision der Ausführung und verflachte im Relief. Bei den Bauten der Hauptstadt aus dem späten 10. Jahrhundert tauchen Tierdarstellungen lediglich an der Außenverzierung auf, vor allem als künstlerisch anspruchslose Wasserspeier. Viele Motive des Tierstils gingen jedoch in die Buchmalerei und das Kunsthandwerk Bulgariens ein, wo sie bis zum Ausgang des Mittelalters in Gebrauch blieben.

 

Stilistisch und ikonographisch stehen zwei reliefierte Holzschnitzereien dem Tierstil der Bauplastik des 9. und 10. Jahrhunderts sehr nahe: die Truhe von Terracina und die Tür der Sveti-Nikola-Bolnički-Kirche in Ochrid (Abb. 60 bis 62, 59). Während auf den Reliefs der Truhe die mittelasiatischen Motive und stilistischen Eigenarten noch stark ausgeprägt sind, ist an der Kirchentür eine fortschreitende Rezeption der christlichen Kunst zu beobachten. So zeigen die Holzreliefs der Tür von Ochrid, die ursprünglich offenbar Modelle für eine Bronzetür waren und hier erst später mit einigen Ergänzungen sekundäre Verwendung gefunden haben, eine gelungene Anpassung vorchristlicher Motive an christliche Thematik sowie der Formensprache an die flächig-lineare Darstellungsweise der christlich-orthodoxen Plastik.

 

Der protobulgarischen Monumental- und Holzplastik steht die Toreutik inhaltlich und stilistisch am nächsten, was darauf zurückzuführen ist, daß sie oft Prototypen der monumentalen Kunst zu benutzen pflegte. Die überlieferten Werke dieser Kunstgattung vermitteln ein ziemlich eingehendes Bild von ihrer Entwicklung, wenn uns auch hier wie bei der protobulgarischen Plastik die Kenntnis ihrer Ursprungsformen versagt bleibt. Der aus mehreren Tafel- und Sakralgefäßen bestehende Goldschatz von Nagyszentmiklös (Kunsthistorisches Museum,Wien), dessen protobulgarischer Ursprung heute allgemein angenommen wird, ermöglicht auf Grund seiner langen, vermutlich von der Mitte des ersten Jahrtausends bis ins 9. Jahrhundert reichende Entstehungsspanne, den Werdegang dieser Kunstgattung über mehrere Jahrhunderte anhand prunkvoller Beispiele zu verfolgen. Bedeutsam ist dabei hier die Rezeption mittelasiatischer, teilweise unter starken Einwirkungen Ostasiens und Irans entstandener Formen und Motive und ihre Übernahme in das ikonographische Programm der christlichen Kunst, das dadurch wesentlich bereichert und erweitert wird. Bedeutsam ist auch das Anpassungsvermögen der Künstler an die durch den christlichen Ritus gestellten Aufgaben. Dies haben weitere neu entdeckte Werke der bulgarischen Goldschmiedekunst des 9. und 10. Jahrhunderts (Abb. 50), wie die Matrize und der silberne Becher aus Preslav, noch deutlicher gemacht. Eine Reihe von Querverbindungen dieser Arbeiten nicht nur mit dem Schatz von Nagyszentmiklös, sondern auch mit anderen Werken der mittelalterlichen Toreutik, beispielsweise dem vergoldeten Becher aus dem Schatz von der Insel Gotland (Historisches Museum, Stockholm), legt es nahe, die Wechselbeziehungen der unterschiedlichen Kunstkreise im Mittelalter von neuem sorgfältig zu überprüfen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß in der Kunst des Ersten Bulgarenreichs Einflüsse der Kunst des Arabischen Kalifats und des Christlichen Ostens, Konstantinopel überspringend, weiterhin eine wichtige Rolle spielten. Wie unmittelbar oft diese Einflüsse wirkten, zeigen mehrere Arbeiten der Kleinkunst und des Kunsthandwerks, deren Ursprung zweifellos im Nahen Osten zu suchen ist. So waren auch im 9. und 10. Jahrhundert in Bulgarien syrisch-palästinensische Metallkreuze und Reliquiare sehr verbreitet. Eine Sonderstellung unter diesen meist gewerbsmäßigen Erzeugnissen nimmt die 1973 in Pliska gefundene goldene Staurothek ein (Abb. 17 bis 20), die aus derselben Werkstatt wie die bekannte Staurothek Fieschi-Morgan (Metropolitan-Museum, New York) und die Kreuze von Vicopisano und Rhode Island stammt, doch eine wesentlich reichere Verzierung aufweist und eindeutig als das kostbarste Stück dieser Art gelten darf.

 

 

Rezeption der Antike

 

Zu Beginn des 10. Jahrhunderts zeitigte die bulgarische Monumentalkunst eine neue Stilrichtung. An dem bauplastischen Schmuck der Basilika Gebe-klisse, der Palastkirche und des Palastes in Preslav (Abb. 38, 39) trat eine bis dahin unbekannte antikisierende Tendenz hervor. Dieser Stilwandel erfaßte zunächst die marmornen Relieffriese aus mehreren symmetrisch aufgebauten quadratischen Panneaus mit pflanzlichen Motiven. Ihre Formen und ihre präzise Ausführung erinnern an die besten Werke der byzantinischen Bauplastik aus dem Zeitalter Justinians I., doch hat sich das Ornament im Vergleich mit der dekorativen Kunst des 6. Jahrhunderts weiterentwickelt. Diese antikisierende, renaissanceartige Tendenz, die für die Zeit der höchsten Blüte der bulgarischen Kunst und Kultur in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts stilbestimmend wirkte, entfaltete sich an der Runden Kirche von Preslav (vollendet kurz vor 907) (Abb. 40, 41) zu voller Kraft. Hier, an dem bedeutendsten Bauwerk des Ersten Bulgarenreichs, kehren eine ganze Reihe von Formen und Ornamenten der spätantiken Kunst wieder, die sich durch Klarheit, Deutlichkeit und Ausgewogenheit auszeichnen. Alle diese Formen sind den überlieferten Kunstwerken nicht einfach nachgeahmt, sondern weiterentwickelt und nachempfunden. Neben dem antiken Kyma treffen wir Friese mit stark stilisierten drei-, fünf- und siebenblättrigen Palmetten und Halbpalmetten, Trauben, Akanthus- und Weinblätterranken. Das antike Ornament ist schöpferisch umgestaltet, um den Anforderungen der Zeit zu entsprechen.

 

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Preslav, Runde Kirche, kurz vor 907. Gesimsprofile

 

 

Das Akanthusblatt verwandelt sich in eine akanthisierende Palmette, Halbpalmette oder in das ebenso von den Akanthusformen beeinflußte stilisierte Weinblatt. Dieser Prozeß setzte bereits in justinianischer Zeit ein, stagnierte jedoch während der darauffolgenden starken Geometrisierung der Naturformen, die bald größtenteils durch abstrakte geometrische Figuren abgelöst wurden. Das Zurückgreifen auf pflanzliche Naturformen der Antike für den bauplastischen wie für den keramischen Schmuck der Bauwerke Preslavs stellt eine Besonderheit dieser bulgarischen Renaissanceströmung zu Beginn des 10. Jahrhunderts dar. Sie unterscheidet sich von der sogenannten Makedonischen Renaissance der zeitgenössischen byzantinischen Kunst, bei der die Wiederbelebung der Antike nicht über den Rahmen der Buchillustration und der Kleinkunst hinausging.

 

Nicht nur Motive und Ornamentik der Preslaver Bauten des 10. Jahrhunderts knüpfen an antike Vorbilder an, auch diese Verzierung selbst und ihre Anordnung erfolgen im Sinne der antiken Kunst. Die Einführung der Säule mit vorwiegend dekorativer Funktion bei der Außengestaltung des Atriums der Runden Kirche (Abb. 40) und die Gliederung seiner Innenwände in einzelne halbkreisförmige Exedren sowie die Errichtung antiker Portale an allen Eingängen stellen Eigenarten der römischen Antike dar, die sich in der zeitgenössischen Kunst Konstantinopels nicht finden lassen. Ebenso antikisch ist das Vorherrschen der ovalzylindrischen und halbzylindrischen Form. Die Vorliebe für ovale Formen ist ein weiteres Kennzeichen der Kunst der Bulgarischen Renaissance des 10. Jahrhunderts, das den Unterschied zu den polygonalen Formen der Apsiden und Tamboure sowie der gebrochenen Linie der Silhouette bei den Kirchen Konstantinopels sofort verdeutlicht. Sie begleitet die bulgarische Baukunst auch weiterhin und entfaltet sich an der Außenverzierung der hochmittelalterlichen Kirchen in voller Kraft.

 

Eine der wichtigsten Besonderheiten der antikisierenden Richtung der bulgarischen Kunst des 10. Jahrhunderts ist die Rückbesinnung auf das menschliche Maß sowohl bei den Bauten als auch bei der Komposition der Wandbilder und der Ornamentik. Damit wurde im Gegensatz zu den wuchtigen Riesenformen der protobulgarischen Paläste und auch zu der Erzbischofsbasilika in Pliska Ausgewogenheit und Harmonie angestrebt, wobei die menschliche Gestalt, wie bei der griechischen Antike, wieder als Maßstab diente. An diesem Maßstab hielt auch die plastische und bemalte Verzierung fest, die üppig-monumentale Formen wie auch Kontraste und den Glanz intensiver Farben vermeidet, um ihr Schönheitsideal im Rhythmus der ausgewogenen Formen sowie in der harmonisch abgestimmten Farbpalette zu finden.

 

Während an den Relieffriesen von Gebe-klisse und der Palastkirche in Preslav (Abb. 38) technische und stilistische Ähnlichkeiten mit zeitgenössischer Bauplastik der byzantinischen Hauptstadt vorhanden sind, bietet der plastische Schmuck der Runden Kirche keinerlei derartige Anhaltspunkte. Dabei darf man nicht außer acht lassen, daß unter Zar Simeon eine neue Generation von Künstlern und Baumeistern aufgetreten war.

 

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Die Errichtung der Runden Kirche erfolgte vierzig Jahre nach der Einführung des Christentums in Bulgarien - Zeit genug, die verschiedensten Künstler auszubilden. Obgleich wir unter den Bildhauern des ausgehenden 9. Jahrhunderts auch Schüler der Konstantinopeler Werkstätten erkennen können - wie etwa die Schöpfer des plastischen Schmucks von Gebe-klisse so beteiligte sich an der Verzierung der Runden Kirche doch bereits die nächste Künstlergeneration, die wohl in den handwerklichen Traditionen der byzantinischen Kunst erzogen war, aber dennoch anderen schöpferischen Gedanken Raum gab.

 

Wenn der neue antikisierende Stil der bulgarischen Monumentalkunst des 10. Jahrhunderts die ästhetischen und künstlerischen Prinzipien der spätantiken Kunst weiterentwickelte und nicht eine byzantinische Umformung darstellt, so deshalb, weil die Bildhauer und Maler ihre Anregungen in den bulgarischen Gebieten von Histros, Marcianopolis und Nikopolis ad Istrum bis Philippi und Durazzo fanden, die reich an antiken Denkmälern hoher Qualität waren. Der Renaissanceströmung des 10. Jahrhunderts entsprechend, übernahmen die bulgarischen Künstler antike Formen in einer schöpferisch bewußten Verwandlung, die nur für diese Epoche und diese Kulturlandschaft typisch ist. Solche Formen sind an den zeitgenössischen Bauten Konstantinopels, wie der Kirche des Myrelaion (Budrum-Moschee), undenkbar; ebenso sind bis zur Palaiologenzeit, der letzten Renaissance der antiken Kunst im Byzanz des 14. Jahrhunderts, keine Gesimse und Friese mit plastischem Schmuck an byzantinischen Bauten zu finden. Während sich in der Kunst Konstantinopels die Verbindung mit der Antike zur Zeit der Makedonischen Renaissance lediglich auf die Buchillustration und die Kleinkunst erstreckte, erfaßte die antikisierende Tendenz in Bulgarien alle Gebiete der Architektur und Monumentalkunst.

 

Die Bauformen und die Innenausstattung der Kirche in Viniza und der Klosterkirche Nr. 1 in Avradak, deren Datierung um die Mitte des 10. Jahrhunderts gesichert ist, zeigen, daß sich die renaissanceartigen Tendenzen der bulgarischen Monumentalkunst nicht mit der Runden Kirche erschöpften. Außer der virtuos ausgeführten dekorativen Bauplastik an den Gesimsen und den Kalksteinreliefs der Kirche in Avradak erscheinen jedoch an den Fassaden noch plastische Tierdarstellungen - eine Eigenart der bulgarischen Kunst des 10. Jahrhunderts, die an etwas spätere Zierformen der romanischen Kunst denken läßt. Diese Tierdarstellungen, vorwiegend Wasserspeier, bereichern wesentlich die Außenverzierung, obgleich ihre künstlerische Qualität nicht über handwerkliches Maß hinausgeht; stilistisch und inhaltlich weisen sie gewisse Beziehungen zur Volkskunst und Folklore, aber auch zur Buchmalerei auf und sind das Bindeglied zwischen Monumental- und Kleinkunst.

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Sinaitisches Euchologion, 11. Jh. Initial

 

 

Buchmalerei

 

Das »Goldene Zeitalter« der bulgarischen Kultur im 10. Jahrhundert fiel mit dem Beginn des slawisch-bulgarischen Schrifttums nach der Erfindung des glagolitischen und des kyrillischen Alphabets und ihrer Einführung im Bulgarenreich zusammen. Die zwei wichtigsten kulturellen Zentren, Preslav und Ochrid, traten gleichzeitig als Zentren des Schrifttums und der Bildung hervor und leisteten durch das Werk der mit ihnen verbundenen Westbulgarischen und Preslaver Schule den bedeutendsten Beitrag für die Entwicklung der slawischen mittelalterlichen kirchlichen und amtlichen Sprache.

 

Parallel mit der regen schriftstellerischen Tätigkeit, die sich hauptsächlich auf die zahlreichen Klöster in der Umgebung von Preslav und auf das Naum-Kloster in Ochrid konzentrierte, entstand eine bemerkenswerte Buchmalerei, die jedoch nur in Bruchstücken überliefert ist. Zu den frühesten Denkmälern gehören eine Reihe glagolitischer Handschriften, hauptsächlich Evangeliare, (Abb. 47) wie der Codex Zographensis (Öffentliche Bibliothek Leningrad), der Codex Marianus (Lenin-Bibliothek Moskau), der Codex Assemani (Vatikan), der Sinaitische Psalter und das Sinaitische Euchologion (Katherinen-Kloster, Sinai, und Öffentliche Bibliothek Leningrad) (Abb. 42 bis 46), deren Datierung die jüngste sprachwissenschaftliche Forschung zum größten Teil in die zweite Hälfte des 9. bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts ansetzt und unmittelbar mit den ersten slawischen Übersetzungen von Kyrill und Method in Zusammenhang bringt. Die eindeutigen ikonographischen und stilistischen Beziehungen der Illuminationen dieser Manuskripte. zur Kunst des Christlichen Ostens sind hauptsächlich auf das langjährige Wirken beider Gründer des slawisch-bulgarischen Schrifttums in kleinasiatischen Klöstern zurückzuführen, wo die Übersetzungen und die ersten Abschriften kirchlicher Texte angefertigt worden sind. Als nicht weniger wichtig erscheint die Benutzung frühchristlicher Vorlagen aus dem Buchschatz der Sophienkirche in Konstantinopel, deren Bibliothekar Kyrill eine Zeitlang gewesen ist. Obgleich der künstlerischen Überlieferung des Christlichen Ostens verpflichtet, zeigt der vorrangig aus Initialen und ornamentalen Zierleisten bestehende Schmuck der Manuskripte ebenso eigene schöpferische Leistungen, die sich vor allem in den kunstvoll mit dem Ornament verwobenen Tier- und Menschendarstellungen äußern. Diese Motive, die sich zu seltsamen Gebilden phantastischer Formen entwickelten, wurden - dem kyrillischen Alphabet entsprechend umgearbeitet - von den späteren Manuskripten übernommen und dienten als Grundlage der südslawischen und russischen Buchmalerei des 13. Jahrhunderts mit ihrem teratologischen Stil.

 

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Ostromir-Evangeliar, Kiew, 1056/57.

Öffentliche Bibliothek Leningrad. Initialen

 

 

Diese Bezeichnung, im vorigen Jahrhundert von F. Buslajew eingeführt und von der späteren Forschung aufgenommen, umfaßt alle Erscheinungen sonderbarer phantastischer Darstellungen von Ungeheuern, die das Ornament der ostslawischen Kunst beherrschen. Die ersten Ansätze dieser Formen finden sich bereits an den frühen glagolitischen Manuskripten, (Abb. 47) wie dem Codex Zographensis und dem Sinaitischen Euchologion. Hier treten die phantastischen Motive zunächst andeutungsweise auf - sie bilden sich von den blattartigen Endungen der Initialen heraus, die sich durch Einsetzen von Augen in Ungeheuer verwandeln und allmählich den Manuskripten ein eigenartiges Gepräge verleihen. Den Übergang von glagolitischen zu kyrillischen Buchinitialen veranschaulicht der Codex Suprasliensis aus dem frühen 10. Jahrhundert, ein Werk ostbulgarischer Provenienz und zugleich ein wichtiges Bindeglied in der Entwicklung der Buchornamentik vor deren Blüte im zweiten Viertel des 10. Jahrhunderts.

 

Die Prachtmanuskripte der Preslaver Hofschule aus der Blütezeit der bulgarischen Buchmalerei sind nicht erhalten. Es existieren jedoch russische Manuskripte, die - wie ihre Erforscher nachgewiesen haben - weitgehend originalgetreu den bulgarischen gefolgt sind. So wiederholen die russischen Abschriften nicht nur die bulgarisch-slawische Orthographie der Originaltexte, sondern auch ihre Initialen und Illustrationen, einschließlich der Stifterbildnisse bulgarischer Herrscher. Stil und Ikonographie, die sich grundsätzlich von den byzantinischen unterscheiden, lassen wiederum mehrere Eigenschaften der Kunst des Christlichen Ostens hervortreten, die durch Vermittlung der kleinasiatischen Klöster sowie durch eine ununterbrochene Traditionskette in Bulgarien lebendig geblieben sind, ohne den verheerenden Folgen des Bildersturms ausgesetzt zu sein. Im Unterschied zu den höfischen Malern Konstantinopels bestand für die bulgarischen Miniaturisten in der Zeit nach dem Bilderstreit keine Notwendigkeit, neue ikonographische Typen zu schaffen. Sie entwickelten die überlieferten Typen weiter und prägten ihnen ihre künstlerischen Auffassungen ein. Das zeigen am deutlichsten die Buchinitialen, deren Ornamentik weitgehend mit dem mittelasiatischen Tiergeflecht durchsetzt ist. Gegenüber dem noch unvollkommenen Bildschmuck der frühen glagolitischen Handschriften steigern sich die ornamentalisierten Menschen- und Tierdarstellungen der kyrillischen Handschriften in der Initialornamentik zu höchster künstlerischer Vollendung.

 

Nicht weniger aufschlußreich für die bulgarische Kunstauffassung ist die Typologie und Ikonographie der Evangelistendarstellungen, die, wie die Initialen, von russischen Kopisten in zwei der bedeutendsten Werke der russischen Buchmalerei - dem Ostromir-Evangeliar (1056/57) und dem Mstislav-Evangeliar (1113/17) - übernommen wurden. Auch hier begegnet uns neben der bulgarischen Orthographie des frühen 10. Jahrhunderts ein ikonographischer Typus, der sich von der byzantinischen Kunst deutlich abhebt: Die Evangelisten erscheinen nicht wie in Byzanz in ruhiger und konzentrierter Stellung, wie antike Philosophen in ihre Schriften vertieft oder nachdenkend, sondern in exaltierter Haltung, den Blick aufwärts zu ihren Symbolen gerichtet. Es handelt sich dabei nicht etwa nur um zwei bildnerische Varianten ein und desselben Schemas; vielmehr treten hier zwei grundsätzlich unterschiedliche theologische Konzeptionen zutage: die durch Mystik der östlichen Symbolsprache geprägte frühchristliche Konzeption der Evangelisten als erleuchteter Vermittler der göttlichen Weisheit und die mittelbyzantinische, die in den Evangelisten lediglich menschliche Zeugen darstellt. Wesentliche Abweichungen von der byzantinisch-hauptstädtischen Kunst werden auch in der Ornamentik erkennbar: Die Rahmen der Evangelistenbilder sind in einem sehr dekorativen Stil ausgeführt, dessen Ursprung weder in Konstantinopel noch im Christlichen Osten, sondern in der protobulgarischen Kunsttradition zu suchen ist. So erinnern die stark stilisierten und vom Blütenblattstil der byzantinischen Handschriften abweichenden pflanzlichen Motive auf den Rahmen der Bildnisse von Lukas und Markus im Ostromir-Evangeliar an ähnliche Motive der bemalten Keramik aus Preslav, während bei der Ornamentik mehrere Berührungspunkte mit der protobulgarischen Toreutik auffallen, wobei auch Einwirkungen der ostchristlichen Kunst des 9. Jahrhunderts feststellbar sind. Die den Zellenschmelzarbeiten gleichende Farbenpracht hingegen verleugnet nicht ihre Verwandtschaft mit der unter sasanidischen Einflüssen entstandenen Kunst Mittelasiens.

 

 

Eine weitere Entwicklungsstufe dieses höfischen Stils der bulgarischen Buchmalerei bezeichnet die vermutlich ebenso originalgetreue russische Nachbildung eines bulgarischen illuminierten Manuskripts aus den 20er Jahren des 10. Jahrhunderts, das sogenannte Swjatoslaw-Sbornik aus dem Jahre 1073 (Historisches Museum Moskau). Wie in der zeitgenössischen dekorativen Kunst Arabiens und Byzanz’ sind hier die Stilisierung und die Schematisierung bedeutend fortgeschritten. Die Ornamentik zeigt Ansätze eines Manierismus, bei dem die Naturformen in abstrakte geometrische Formen übergehen, wenn auch das Naturvorbild noch spürbar bleibt.

 

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Die unmittelbaren Bindungen an die frühchristliche Kunsttradition des Christlichen Ostens und ihre Symbolsprache sowie der Rückgriff auf antike Formen und deren Naturtreue und Harmonie unter Zugrundelegung eines auf den Menschen bezogenen Maßes waren für die bulgarische Renaissance des io. Jahrhunderts nur zwei von mehreren unterschiedlichen Aspekten, die den großen kulturellen Aufschwung Bulgariens - das »Goldene Zeitalter« - charakterisieren. Es ist von fundamentaler Bedeutung, daß die Triebkraft dieses Aufschwungs, entsprechend der Makedonischen Dynastie in Byzanz, die Zentralmacht des autokratischen Herrschers war, die in sich die Führung des Staates und der Kirche vereinigte. Tatsächlich ist die bulgarische Renaissance mit Simeon, dem »Zaren der Bulgaren und Griechen«, eng verbunden. Er wurde von seinen Zeitgenossen nicht nur als »der mächtigste Herrscher«, sondern auch als »ein neuer Ptolemäus, der in seinen Palästen alle göttlichen Bücher gesammelt hatte«, gepriesen. Der Bischof von Cremona, Liutprand, drückte seine Bewunderung aus, als er vom Studium Simeons in der Konstantinopeler Magnaura-Schule berichtete, wo sich der zukünftige Herrscher Bulgariens mit der Rhetorik des Demostenes und den Syllogismen des Aristoteles beschäftigt habe. Alle zur Zeit des Zaren tätigen Übersetzer und Autoren bulgarischer Bücher betonten ausdrücklich, daß ihre Werke auf seine Veranlassung geschrieben wurden. Mit Simeon dürfte nicht nur die Errichtung der Runden Kirche in Zusammenhang stehen, in der sein Stifterbild angebracht war, sondern auch die Entstehung der neuen Hauptstadt Preslav, die er »binnen 28 Jahren gebaut und geschaffen« haben soll. Wie groß seine Bedeutung für die humanistischen und renaissanceartigen Tendenzen des Goldenen Zeitalters auch gewesen sein mag - man darf dennoch nicht vergessen, daß dieser Herrscher als Exponent einer bestimmten Schicht der bulgarischen Gesellschaft hervortrat. Die gesamte kulturelle Tätigkeit vollzog sich im Rahmen des Frühfeudalismus, dessen Entwicklungsstand der Produktivkräfte für die Herausbildung einer starken Bürgerschicht nicht ausreichte. So beschränkte sich diese Kulturblüte auf den Kreis des Hofes und des Hochklerus. Der Gegensatz zwischen der Idee der Selbstherrschaft und der sich immer stärker auswirkenden Dezentralisierungstendenzen des Feudalismus führte bei den Nachfolgern Simeons zu einer Rezession auf allen Gebieten. Eine Ursache für diese Rezession waren auch die erschöpfenden Kriege und feindlichen Einfälle, die nach der Mitte des 10. Jahrhunderts wieder einsetzten und eine allgemeine Schwächung der wirtschaftlichen Fundamente des Staates mit sich brachten.

 

Der Prozeß allmählicher Byzantinisierung der bulgarischen Kirche nach dem Tode Simeons einerseits und die rasche Ausbreitung mehrerer gegen die offizielle Kirche gerichteter religiöser Lehren andererseits rief auch auf geistig-religiösem Gebiet eine Spaltung hervor. An erster Stelle der von der orthodoxen Kirche unter dem Vorwand der Ketzerei verfolgten Ideengemeinschaften und Sekten stand das sich schnell ausbreitende Bogomilentum - ursprünglich eine Mysterienlehre, die, sowohl von der mystischen Praxis des Vorderen Orients als auch vom Neoplatonismus beeinflußt, sich zu einer Protestbewegung der Volksmassen entfaltete und für die Ideen des ursprünglichen Christentums eintrat.

 

Die Spaltung innerhalb der bulgarischen orthodoxen Kirche selbst vertiefte sich um die Mitte des 10. Jahrhunderts. Die ersten Klostergründungen - wie die Klöster in der Umgebung von Preslav und Ochrid sowie die Klöster Xiropotamos und Zograph auf dem Berge Athos, der autonomen Mönchsrepublik zwischen Byzanz und Bulgarien - entstanden in der Regierungszeit der Zaren Boris, Simeon und Petar als Zentren des geistigen und kulturellen Lebens. Im Laufe des 10. Jahrhunderts trat zu den geistlichen und kulturellen Aufgaben der Klöster immer stärker auch die Funktion eines wichtigen Faktors im Wirtschaftsleben hinzu. Die Kirche und die Klöster entwickelten sich zu den reichsten Feudalbesitzern, die große Macht über die ihnen untergeordnete Bevölkerung auszuüben vermochten. Als eine Reaktion gegen den äußeren Glanz und die zunehmende Verweltlichung der kirchlichen Institutionen regte sich auch innerhalb der Kirche eine starke Opposition, die ihren Ausdruck in der vom heiligen Ivan von Rila (um 876-946), dem bedeutendsten bulgarischen Einsiedler, eingeleiteten Massenbewegung der Resignation und der Flucht aus dem öffentlichen Leben fand.

 

Von inneren Widersprüchen geschwächt und von allen Seiten bedroht, fiel der Ostteil des Bulgarenreichs mit der Hauptstadt Preslav 972 dem Ansturm der Byzantiner zum Opfer. Für weniger als ein halbes Jahrhundert gelang es dem bulgarischen Feudalherrn Samuil mit seinen Brüdern, die westlichen und einen Teil der östlichen Gebiete Bulgariens zurückzuerlangen und als Zar des Bulgarenreichs bis zu seinem Tode im Jahre 1014 mit Erfolg zu verteidigen. Kurz darauf ging jedoch auch dieses Westbulgarische Reich 1018 infolge der divergierenden Interessen der einzelnen Feudalherren zugrunde.

 

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